
… in gekrümmter Haltung sitze ich am Tisch - jeder einzelne Muskel in meinem Körper ist angespannt. Ich blinzele ein paar Mal, um zu verhindern, dass mir die Schweißperlen in die Augen laufen, die sich mittlerweile auf meiner Stirn gebildet haben. Mein Blick ist geschärft, die Atmung geht flach. Mit voller Konzentration richte ich meine Aufmerksamkeit auf den kleinen länglichen Gegenstand in meiner verkrampften Hand, den ich mir gegen meinen Zeigefinger presse. Die Zeit vergeht... aus Minuten werden Stunden. Mittlerweile plagen mich Hunger und Durst, aber ich verharre in meiner starren Haltung - unmöglich mich zu bewegen...
Rückblick
Das Telefon klingelt einmal, zweimal, beim dritten Mal hebt jemand ab: „Die Hausarztpraxis. Was kann ich für Sie tun?“. plärrt eine gestresst klingende, weibliche Stimme in den Hörer.
„Einen wunderschönen Guten Morgen!“, betont freundlich versuche ich mein telefonisches Gegenüber milde zu stimmen.
Nachdem ich keine Reaktion auf ein freundliches Entgegenkommen feststellen kann, beeile ich mich weiterzusprechen. „Ich wollte eigentlich NUR GANZ SCHNELL meine Blutwerte erfahren!“, teile ich der Dame am anderen Ende der Leitung mit und fühle mich auf unerklärliche Art und Weise irgendwie schuldig.
„NAME?“, fragt die Dame schroff, während ich höre wie sie auf der Tastatur ihres PCs herumhackt. Es klingt, als würde sie dabei jede einzelne Taste mit ihren Fingern herausschlagen und ich beeile mich ihr meinen Namen zu nennen.
„Sie haben einen stark erhöhten IgE-Wert!“, stellt sie knapp fest.
„Und was heißt das?“, frage ich mutig, ziehe dabei aber unmerklich die Schultern etwas nach oben.
„Wahrscheinlich eine Lebensmittelunverträglichkeit!“, erklärt mir die Dame in einem Ton, als müsste ich das eigentlich selbst wissen.
Ein bisschen wie...
„Was? Du weißt nicht was ein IgE- Wert ist? Das gehört aber schon zur Allgemeinbildung. Das solltest du eigentlich wissen! 6, setzen!“
Jetzt fühle ich mich irgendwie unwissend und beschämt beende ich das Gespräch schnell.
Nachdem ich mein Krönchen wieder gerichtet und die Arzthelferin als blöde Kuh identifiziert habe, google ich ein bisschen im Internet und werde bald auf einen Screening-Test aufmerksam, ein Lebensmittelallergie-Test mit dem ich gleich über 44 Lebensmittelunverträglichkeiten auf einmal testen kann.
„Prima!“, denke ich und bestelle sofort.
Zwei Tage später kommt ein Päckchen mit der Post und erwartungsvoll reiße ich die kleine Kartonage an einer Seite auf und ziehe den Test daraus hervor. Dieser besteht aus einer Testkassette, einem kleinen Fläschchen mit einer klaren Flüssigkeit, einem Glasröhrchen, einem Alkoholtupfer und einer kleinen Lanzette, einer sogenannten Einstichhilfe.
Mit gerunzelter Stirn betrachte ich das kleine, längliche Ding von allen Seiten. Auf der Oberseite befindet sich ein kleiner Knopf. In der Anleitung lese ich, dass die Einstichhilfe fest auf den Zeigefinger zu pressen ist, bevor man den Mechanismus auslöst. Schon bei dem Gedanken, dass ich mir eine messerscharfe Lanzette in meinen Finger rammen soll, erschaudere ich.
Meine Tochter, die zufällig vorbeikommt bleibt hinter mir stehen und schaut mir neugierig über die Schulter.
In drei Sekunden hat sie die Lage erfasst und grinst breit. „Hat da jemand Angst vor der spitzen Nadel?“
Empört schaue ich zu ihr hoch: „Das sagt ja genau die richtige! Wer hat den hier eine Spritzenphobie?“
Unbeeindruckt davon lässt sich meine Tochter neben mir auf den Stuhl fallen. „Komm' schon Mama! Ich gebe dir seelischen Beistand!“, spottet sie.
„Hau ab!“, entgegne ich, während ich alles für den Test bereitstelle.
„Mit dem Glasröhrchen soll dann der Tropfen Blut aufgefangen und in das Fläschchen mit der klaren Flüssigkeit geworfen werden!“, lese ich aus der Anleitung laut vor.
„Na dann leg mal los!“, spornt mich meine Tochter an und ein süffisantes Grinsen breitet sich auf ihrem Gesicht aus.
„Hast du nichts anderes zu tun?“, frage ich sie und werfe mit der kleinen Kartonage nach ihr.
„Nö!“, antwortet diese und macht es sich auf ihrem Stuhl bequem.
Ich säubere meinen Finger mit dem Alkoholtupfer, presse mir die Einstichhilfe an den Zeigefinger, kneife die Augen zusammen und....
Nichts! Ich kann es nicht!
Meine Tochter lacht: „Soll ich mal?“
„Wie?“, frage ich erstaunt. „Du hast selbst Angst vor Spritzen, aber mir würdest du eiskalt eine Lanzette in den Finger rammen?“
„Ja!“, antwortet sie mir schlicht.
„Das ist ja ungeheuerlich!“, stelle ich fest, drücke ihr aber gleichzeitig die Lanzette in die Hand und strecke ihr meinen Finger entgegen.
Sie nimmt meine Hand, hält sie fest, drückt die Einstichhilfe an meine Haut. Ich drehe meinen Kopf zur Seite, um das bevorstehende blutige Massaker nicht sehen zu müssen und...
„Stopp!“, schreie ich und ziehe meine Hand schnell wieder zurück. „Ich kann das nicht!“
Kopfschüttelnd gibt mir meine Tochter die Lanzette zurück. „Mama! Du bist wirklich verrückt!“
„Das mag sein!“, gebe ich kleinlaut zu und streiche mitfühlend und fürsorglich über meinen Zeigefinger.
„Vor was hast du denn eigentlich so viel Angst?“, fragt sie mich.
Ich muss kurz überlegen: „Was ist, wenn die Einstichhilfe eine Fehlkonstuktion ist und sich die Lanzette nach Aktivieren des Knopfes vollständig durch meinen Zeigefinger bohrt?“
Meine Tochter schaut mir lange in die Augen. Sie sagt keinen Ton!
„Ist ja schon gut! Ich gebe zu, dass es eher unwahrscheinlich ist!“
Wieder halte ich mir die Lanzette an den Finger. „Jetzt mache ich es!“, sage ich im Brustton der Überzeugung.
Zwei Stunden später...
„Dranhalten, drücken!“, redet meine Tochter unablässig auf mich ein. Es klingt mittlerweile in meinen Ohren wie ein spirituelles Mantra, oder ein heiliges Gebet in Dauerschleife.
Wir sitzen nebeneinander, haben die Köpfe aneinander gelehnt, halb in meditativer Stimmung versunken, wartend auf Erlösung...
Durch Hunger und Durst geschwächt, werfe ich mit meiner, vom dauerhaften Festhalten der Lanzette, verkrampften Hand in einer fahrigen Bewegung das Fläschchen um und ein paar Tropfen der klaren Flüssigkeit landen auf dem Tisch.
Mit einem Ruck richte ich mich kerzengerade auf. „Es reicht!“
Ich schnappe mir die Einstichhilfe, presse sie mir mit einer schwungvollen Bewegung an den Zeigefinger und ramme mir die Lanzette in die Haut.
Ein Tropfen Blut quillt daraus hervor. Geschickt fange ich diesen mit dem Glasröhrchen ein und werfe alles in den bereitstehenden kleinen Behälter.
Geschafft!
„Und?“, fragt meine Tochter, aus ihrer meditativen Trance herausgerissen.
„Hat überhaupt nicht wehgetan!“, stelle ich grinsend fest.
Ist es Euch auch schon einmal so ergangen? Schreibt mir doch über das Kontaktformular, WhatsApp, oder die Kommentare. Ich freue mich auf Eure Geschichten :)
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