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Die Lotterich

Autorenbild: Jennifer WillertJennifer Willert


Rückblick

Voller Neugierde betreten wir das, mit einer hohen Mauer umfasste Grundstück. Kaum habe ich das knarrende Hoftor geschlossen, als uns schon von der anderen Seite, aus einer gerade geöffneten Tür, ein rotbraunes Reh entgegenrennt. Mit enormer Geschwindigkeit saust es auf uns zu, rempelt uns an, springt an uns hoch und freut sich, als würde es uns schon ein ganzes Leben lang kennen. Im ersten Moment weiß ich gar nicht wie mir geschieht. Es ist nicht einfach, dieses verrückte und fortwährend hüpfende Geschöpf in Augenschein zu nehmen.

Gleich darauf tritt eine ältere Frau aus der Tür des gegenüberliegenden Gebäudes und das Tier wird etwas ruhiger. Ich schaue es an und muss unweigerlich grinsen. Zu Anfang sehe ich nur ein paar lange, steckenähnliche Beine, die im ersten Moment so gar nicht zum Rest des Körpers passen wollen. Und dann diese Ohren!

„Allmächd!“, denke ich. „Dieses Tier besteht nur aus langen Beinen und großen Ohren!“

Bei weiterer Betrachtung erkenne ich einen peitschenartigen, langen dünnen Schwanz, der unaufhörlich wedelt. So sehr, dass das ganze Hinterteil wackelt, als wäre es völlig losgelöst vom restlichen Körper.

„Mein Zahnarzt würde dir einen deutlichen Überbiss bescheinigen!“, denke ich so bei mir, als mich auch schon eine große nasse Nase freundlich anstupst.

Gutmütige Klubschaugen schauen mich neugierig an.

„Ja was bist denn Du für eine.... ein... ein interessantes Geschöpf!“, sage ich und lächele erst den kleinen Wirbelwind und dann die Frau an, die mit ausgestreckter Hand und einem warmherzigen Lächeln auf mich zu eilt.

Händeschütteln, Lächeln, ein paar nette Floskeln, wieder Lächeln.

Dann. „Das ist Lotte...“ und an Lotte gewandt, „...das ist deine neue Familie!“


Und so kam es, dass wir ein paar Tage später stolze Eltern einer, aus den katalanischen Bergen kommende, von einer Tierschutzorganisation vermittelte, fünfjährige Podenco-Pinscher Mix Dame wurden.


Man sagt, dass es circa sieben Jahre braucht bis man einen Menschen wirklich kennengelernt und alle Facetten seiner Persönlichkeit erfahren hat.

Ich glaube bei einem Hund verhält es sich ganz ähnlich!

Irgendwann stellt man fest, dass der Lieblingsmensch an seiner Seite nicht nur liebliche Eigenschaften hat. Eine ernüchternde Erkenntnis, der niemand entkommen kann. So vergewisserte ich mich in der Vergangenheit ganze dreimal, ob Lotte wirklich ein Weibchen ist, denn sie hebt beim Pinkeln ganz oft das Bein.

Bei der Begegnung mit einem anderen Hund zeigt sie sich stets äußerst begeistert. Allerdings stößt das grobmotorische Anrempeln, aus voller Geschwindigkeit bei ihren Kollegen nicht immer auf Gegenliebe. Und überhaupt verhält sich das Tier im Umgang mit seinen Artgenossen eher unangebracht. Mit stümperhaften und ungelenken Bewegungen fordert sie ihr Gegenüber zum Spielen auf.

Irritierte Blicke von Hund und Frauchen oder Herrchen sind ganz oft die Folge: „Ja was hat er denn?“, werde ich dann gefragt.

„Die Sauerstoffzufuhr bei der Geburt war nicht optimal!“, antworte ich dann meistens und gehe schnell weiter, den immer noch begeisterten Hund hinter mir herziehend. Mitleidige Blicke verfolgen uns.

Manchmal denke ich, da könnte wirklich etwas dran sein. Wenn sie mal wieder just in dem Moment, abwartend bis der Radfahrer ganz sicher auf gleicher Höhe mit uns ist, zielstrebig in das Fahrrad rennt. Oder aus, für mich nicht ersichtlichen Gründen, einen plötzlichen Bogen in ihrer eigentlichen Laufrichtung beschreibt, als würde sie einem, für mich unsichtbaren Hindernis ausweichen. Jede Fahrt mit dem Auto wird zur Herausforderung, weil sich andauerndes Jammern, ähnlich einer alten Feuerwehrsirene mit ganz erbärmlich stinkenden Pupsen abwechseln. Von den Käsepfoten und dem nächtlichen Schnarchen möchte ich an dieser Stelle gar nicht sprechen.

„Lotte, du verhältst dich nicht wirklich wie eine Dame!“, sagte ich irgendwann einmal zu ihr. „Du bist eigentlich eher so ein LOTTERICH!“

Und dieser Name ist bis heute geblieben... :)

Seit es Lotterich in unserem Leben gibt, gab es kein entspanntes Silvester mehr zu Hause.

Mit einem rasenden Herzschlag, wie ein Presslufthammer, Käsepfoten de luxe und Dauergejammer, welches man in menschlicher Sprache mit „Oje...oje... oje“ übersetzen könnte, läuft sie unruhig in der Wohnung auf und ab. Gleich nach dem ersten Knall stellt sie ihre Blasenfunktion ein und ist nicht mehr zum Pinkeln zu bewegen. Dafür hat sie Dauerdurchfall. Mittlerweile packe ich den Hund einen Tag vor Silvester in die Hundebox und fahre weit, weit weg. Trotzdem entkommen wir den Raketen, den lauten Böllern und dem Lärm nie ganz und es ist jedes Jahr erneut eine echte Herausforderung. Mit der Zeit habe ich begriffen, dass unter dem oft tölpelhaften und, etwas grob anmutenden Verhalten eine sensible Seele steckt, die dadurch einfach nur sehr stark auf äußere Reize reagiert.

Lotterich ist sehr oft eine einzige Katastrophe. Sie muss in ihrem früheren Leben viel mitgemacht und so manche schlimme Situation erlebt und überlebt haben. Das stelle ich immer wieder aufs Neue fest.

„Dieser Lotterich ist eine echte Herausforderung!“, denke ich, während ich sie, friedlich schnarchend in ihrem Körbchen beobachte.

Aber wenn ich ehrlich bin, dann muss ich mir eingestehen, dass wir uns in mancher Hinsicht ähnlich sind. Nicht was das Pupsen angeht! Das möchte ich an dieser Stelle noch einmal in aller Deutlichkeit erwähnen. Aber Neugierde, Kampfgeist, Sensibilität und einen Hang aus der Reihe zu tanzen sind eindeutig Eigenschaften, die ich auch mein Eigen nennen kann.


 
 
 

3 Comments


Unbenannt
Feb 14

Dem Verhalten kann ich nur zustimmen. Wir haben zwar kein Reh, sondern einen blonden Wuschel, der auch bei der Begrüßung sehr temperamentvoll ist. Radfahrern und Autos wird prinzipiell nicht ausgewichen.

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Gabi
Feb 06

Weiter so!!! Wir freuen uns auf neue Geschichten.

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Guest
Feb 06

Die Lotterich….einfach genial😂😂👍👍👍

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